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|06 Feb 2012|System User

Messungen als Leistungssport

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Vorige Woche durfte ich in einer Tram in Zürich (in Wien würde man Bim sagen und das deutsche Wort ist wahrscheinlich Straßenbahn) – mehr oder weniger gezwungenermaßen – eine interessante Unterhaltung mitverfolgen. Zwei ältere Herren in der Sitzreihe hinter mir führten eine angeregte Diskussion darüber, was in ihrem Unternehmen wohl als Umsatz gerechnet werden könne und was nicht. Es stellte sich heraus, dass gerade die Zielvereinbarungsgespräche für das neue Jahr liefen und anscheinend wurden die Herren mit sehr ambitionierten Umsatzzielen beglückt. In dem Gespräch versuchten sie nun herauszufinden, was man dem Vorgesetzten wohl alles als Umsatz verkaufen könnte. Unter den Ideen fanden sich Vorschläge wie “jede Anwesenheit in einer Filiale des Unternehmens wird als Umsatz gezählt” oder “Hilfestellungen für interne Kunden” usw. Mit viel Kreativität wurde versucht, den zu erreichenden Messpunkt – das Umsatzziel – zu erreichen.

A bug’s life
Ähnliches erlebe ich auch immer wieder bei Software-Teams. Kunden sind zum Beispiel mit der Qualität der gelieferten Software nicht zufrieden. Deswegen schwört der Teamleiter seine Leute darauf ein, die Anzahl der Bugs zu senken. Damit er auch weiß, ob das Team am richtigen Weg ist, werden Messungen durchgeführt. “Anzahl der Bugs im Produktivsystem” lautet dann beispielsweise die zu optimierende Maßzahl. Die Aufgabe der Entwickler ist es nun, die Anzahl der Bugs zu senken. Klingt ja sehr vernünftig! Der Plan sagt, dass sie ihre volle Aufmerksamkeit auf das Thema Qualität richten und dann wird die Kundenzufriedenheit nur so in die Höhe schnellen.

Mit dem Marschbefehl der Bug-Minimierung geht es nun ans Werk. Relativ bald lassen sich skurrile Diskussionen zwischen Entwicklern und Produktverantwortlichen verfolgen: “Das ist doch kein Bug! Ihr habt das Feature eindeutig falsch beschrieben.” Warum ist das wichtig? Naja klar, die Entwickler wollen ja die Anzahl der Bugs im Produktivsystem reduzieren und somit ist es sehr wichtig, was als Bug gezählt wird und was nicht. Jede gewonnene Diskussion bringt uns unserem Ziel scheinbar näher – weniger Bugs im Produktivsystem.

Nicht die Messung muss optimiert werden, sondern das Produkt!
Doch was war eigentlich der initiale Grund, warum die Messung eingeführt wurde? Den Kunden soll ein qualitativ hochwertiges Produkt geliefert werden. Wird die Qualität des Produkts durch die Diskussion “was ist ein Bug und was nicht” höher? Sicher nicht! Das Resultat: Es wird die Messungen und nicht die Qualität des Produkts optimiert. Ganz nebenbei entwickelt sich dadurch auch noch eine hervorragende “Finger-Zeig-Kultur” – “Du bist schuld, nicht ich!”

Ähnliches haben auch die beiden Herren in der Tram versucht: Es ging in der ganzen Diskussion nur darum, kreative Schachzüge zu entwickeln, damit der Messpunkt “Umsatzziel” am Jahresende erreicht werden kann.

Es stellt sich immer wieder heraus, dass Messungen eine wirklich gute Sache sind. Aber nur, wenn erstens das Ziel der Messung klar ist und zweitens das Ziel auch tatsächlich verfolgt wird.

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